Umstrittene Straßennamen in Hof - Relikte des nationalsozialistischen Regimes


  • Nach dem Stadtratsbeschluss zur Beibehaltung des Namens "Dr. -Dietlein-Strasse" sind die Diskussionen zu diesem Thema noch lange nicht abgeschlossen. Im Gegenteil, man kann den Eindruck gewinnen dass die Diskussionen erst richtig los gehen.


    Die Frankenpost berichtet am 11.7.2013 mit einer ganzen Seiten über die aktuellen Meinungen zu Dr. Dietlein. Dabei wird der Stadtratsbeschluss heftig kritisiert.


    Auch das Aufstellen einer Geschichtstafel über Dr. Dietlein wird angeprangert (siehe auch meinen Beitrag weiter oben). Es wird befürchtet, dass sich die Straße zu einem Treffpunkt der rechten Szene entwickeln könnte. Mit der Gestaltung der Geschichtstafel wurde Dr. Kluge beauftragt.


    Gruß Dieter



  • Auf Grund der aktuellen Diskussion wegen der (nicht erfolgten) Umbenennung der Dr. Dietlein-Straße, hat Dr. Arnd Kluge einen Auszug aus dem Aufsatz von Prof. Mintzel auf die Internetseiten des Nordoberfränkischer Verein für Natur-, Geschichts- und Landeskunde e.V. eingestellt.


    Sie finden den Auszug dort unter Aktuell!


  • Vielen Dank für diesen Auszug. Der Aufsatz stellt sehr schön dar, wie man sich nach dem Krieg gegenseitig mit "Persilscheinen" wieder eine möglichst weiße Weste verschaffte. Neu war für mich auch, dass Dr. Ebert doch nicht so ganz makellos das Dritte Reich durchlaufen hat, wie man bisher annahm. Das Verschwinden diverser, ihn möglicherweise belastender Unterlagen Eberts aus dem Stadtarchiv und seine im Spruchkammerverfahren gegen Dietlein aufscheinende "äußerst rechte Gesinnung" deuten darauf hin.


    Weiter ist es Zeit geworden, dass endlich auch einmal von anderer Seite der zweifelhafte Wert der Dietlein'schen Chronik beurteilt wurde. Prof. Dr. Mintzel schreibt so treffend:
    "Dietlein vergaß über seinem ideologischen Eifer die methodischen Standards wissenschaftlicher Geschichtsschreibung. Er opferte sie seiner „volkstümlichen Darstellung“, wie sie später, im Jahre 1955, von Dr. Friedrich Ebert klassifiziert wurde, und verzichtete weitgehend auf Quellenangaben und Zitate."
    Das ist etwas, was mich bei der Arbeit mit Dietleins Chronik schon immer geärgert hat: Man stösst in der Chronik auf einen interessanten Sachverhalt, kann diesem aber nicht ohne weiteres nachgehen, weil Dietlein prinzipiell keine Quellen angibt.

    Fränkische Wahrheit: Zwei Besatzungsmächte haben wir gehabt - die Amerikaner und die Bayern. Die Amerikaner sind wir los.

  • Da die Dietlein-Str. zur Hospitalkirche gehört und ich da Pfarrer bin, muss mich das Thema interessieren. Ich habe deshalb (auch als Webmaster des Evang. Dekanats Hof) eine Dokuseite erstellt: http://www.dekanat-hof.de/meinungdesmonats/meinungaug13.htm. Da Dietlein Pfarrer war, stellt sich die Frage, wie denn eigentlich die Hofer Kirchengeschichte in der NS-Zeit aufgearbeitet wurde. Nach meinem Eindruck gar nicht. Warum mich diese Geschichte auch aus persönlichen Gründen interessiert, erfahren Sie unter Links - Homestory.


    Wie das in Bayern bei Kirchens (evang.) nach 1945 lief, habe ich in meinem Nachwort zur kürzlich aufgetauchten Pfarrbeschreibung der Kirchengemeinde Hof 1915-1945 kurz erläutert: http://www.dekanat-hof.de/down…chreibung%201915-1947.pdf


    Und noch eins würde mich interessieren: Der 4. Band der Chronik der Stadt Hof, der ursprünglich von Dr. Ernst Dietlein verfasst und nach dessen Tod am 7.1.1954 von Kirchenrat Adolf Jäger bearbeitet und ergänzt wurde, wurde 1955 von der Stadtverwaltung Hof herausgegeben und mit Unterstützung in Höhe von 2000 DM von Seiten der Gesamtkirchenverwaltung Hof gedruckt. Die letzten Nachrichten zur Kirchengeschichte in diesem Band stammen aus dem Jahr 1933. Weiß jemand Näheres über die Umstände der Entstehung? Zu Kirchenrat Jäger habe ich das gefunden: http://www.bubenreuther.de/buugle.php?detail=2181. Er befand sich seit 1949 im Ruhestand. Er war von 1922-1949 Dekan in Wunsiedel.


    MfG Johannes Taig

  • Da Dietlein Pfarrer war, stellt sich die Frage, wie denn eigentlich die Hofer Kirchengeschichte in der NS-Zeit aufgearbeitet wurde.


    Hallo Herr Taig,


    leider kann ich nicht allzuviel beisteuern. Mir ist lediglich der Pfarrer und spätere Kirchenrat Heerdegen bei meiner Beschäftigung mit der Hofer Militärgeschichte zweimal untergekommen. Das wenige, was ich dazu zusammen getragen habe, finden Sie im Anhang.


    Mit freundlichen Grüssen
    Jörg Wurdack

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  • Das ist doch schon was! Vielen Dank. Ich darf ich mit einem Vortrag revanchieren, den Dr. Peter Seißer zur Reichskristallnacht in Wunsiedel verfasst hat. Hier gibt es viel über den damaligen Dekan Jäger zu erfahren.


    PS: Gibt es eine Funktion in diesem Forum, mit der man eine Mailbenachrichtigung über neue Beiträge zum Thema erhält? Ich habe sie nicht gefunden.


    MfG Johannes Taig

  • Lieber Herr Pfarrer Taig,


    solch eine Funktion - wie bei "facebook" - ist hier nicht vorgesehen, vielleicht weiß aber der Administrator mehr darüber.
    Wenn man Neuigkeiten erfahren will, muss man nur auf die Forumsseite gehen und die "fetten" Buchstaben beachten - das sind die neuen Beiträge.


    Ihr Hans Seidel


    P.S.: Nochmals vielen Dank für die DVD!!!

  • Der Vortrag von Dr. Seißer und andere Texte zur Kirchengeschichte in Hof und Umgebung finden sich auch auf der DVD über die Hospitalkirche. Die Chronik zur Hofer Kirchengeschichte wird z.Z. aufgrund der neuen Erkenntnisse ständig ergänzt, besonders was die Jahre 1920-1950 betrifft. Die DVD wird von uns immer frisch gebrannt, ist also immer auf dem neusten Stand. Nach ein, zwei Jahren lohnt sich daher ein kostenloses Update, das im Pfarramt erhältlich ist: http://www.hospitalkirche-hof.de/cd.htm.


    MfG Johannes Taig


  • Der Stadtrat von Hof kann sich immer noch nicht auf einen Text für die geplante Info-Tafel über Dr. Dietlein einigen. Inzwischen wird angedacht, dieses Thema bis Mai 2014 - nach den Stadtratswahlen - zu verschieben. ?( :thumbdown:


    Die Frankenpost berichtet erneut in ihrer Ausgabe vom 1. Oktober 2013 ausführlich über den aktuellen Stand.



  • Auch heute berichtet die Frankenpost wieder über die Dr.-Dietlein-Straße.


    Übrigens, auch der Bayerische Rundfunk hat über dieses Thema berichtet. Mehrere Beiträge wurden ausgestrahlt, dabei sind auch interessante Beiträge Hofer Bürger, unter anderem auch Dr. Kluge, zu hören. Die Meinung des BR scheint dabei recht eindeutig: Blamable Vorstellung ...


    Nachfolgend einige links zu den Beiträgen:
    Streit um Dr.-Dietlein-Straße geht weiter
    Blamable Vorstellung um Hofer Straßennamen


  • Die Stellungnahme der Hofer Stadträte in dem Rundfunkbeitrag ist einfach nur peinlich - man windet sich wie ein Aal. Entlarvend auch die Aussage des CSU-Stadtrates: Was interessieren uns Terminvorgaben der Stadtverwaltung, wir machen was wir wollen!


    Treffend dagegen die Bewertung von Professor Reinhard Merkel zu dem Entschluss, den Straßennamen beizubehalten: "Wir ehren damit diesen Mann weiter!"


    Aber es gibt Städte, die gehen noch lockerer als Hof mit ihrer NS-Vergangenheit um:
    In Mühldorf am Inn war der evangelische Pfarrer und stramme Nationalsozialist Hans Gollwitzer von 1937 - 1945 Bürgermeister der Stadt. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er zunächst als "Belasteter" eingestuft. In der sich anschließenden Berufungsverhandlung vor der Hauptkammer München vom 27.02.50 wurde festgestellt, daß Gollwitzer "mehr als nur nominell am Nationalsozialismus teilgenommen" habe, gleichzeitig aber nur als ,,Mitläufer" eingestuft werden könne, da er Milderungsgründe für sich in Anspruch nehmen könne. Als Beleg hierfür wurde ohne weitere Begründung angeführt, dass er sich tatsächlich für Gegner des Nationalsozialismus, für Ausländer und Juden eingesetzt habe. Wahrscheinlich wurden hier ähnliche Persilscheine der örtlichen Oberschicht verwendet, wie sie auch in Hof kursierten (Dr. Ebert bürgt für Dietlein, Pfarrer Heerdegen bürgt für die Generäle Kittel und Hüttner usw.).
    1952 wurde Gollwitzer als Parteiloser wieder zum Bürgermeister gewählt, dieses Amt hatte er bis 1966 inne. 1971 bekam er zum zweiten Mal die Ehrenbürgerwürde, die er schon einmal von 1934 bis zur Aberkennung 1946 besaß. Die Ehrungen gipfelten darin, dass in den 1980er Jahre ein Straßenzug in einem Neubaugebiet in Mühldorf-Süd als "Hans-Gollwitzer-Strasse" benannt wurde.

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  • Offensichtlich stürzen sich da auch noch anders Gesinnte drauf.....


    Das war zu befürchten, dass die extreme Rechte dieses Thema genüsslich ausschlachtet.
    Das "Freie Netz Süd" ist ein wirklich übler Zusammenschluß rechtsextremer Aktivisten, der die NPD als "zu gemässigt" ablehnt. Auch die "Freien Nationalisten Hof", die das Restaurant "Zum Egerländer" in Oberprex erworben haben und es jetzt für Veranstaltungen nutzen, sind eine Untergruppierung des "Freien Netzes Süd". Siehe dazu die recht brauchbare Übersicht bei: http://de.wikipedia.org/wiki/Freies_Netz_S%C3%BCd


    Es wäre fatal, wenn der Hofer Raum wieder einmal, wie schon vor 1933, zu den Vorreitern der Rechten gehören würde.

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  • Die Diskussion um die mögliche Umbenennung der Dr.-Dietlein-Straße nimmt kein Ende. Immer wieder werden Meinung umgeworfen, selbst der Beschluss des Hofer Stadtrates ist wieder in Frage gestellt. Ins Gespräch gebracht wurde auch eine Bürgerbefragung. Je nach Variante der Umsetzung kostet diese Bürgerbefragung bis zu 50.000 Euro.


    Nun fordert der Vorsitzende der israelischen Kultusgemeinde Hof, Herr Dr. Gonczarowski, laut Frankenpost (16.10.2013), nachdem er noch im November 2012 gegen eine Umbenennung war, den Straßennamen zu ändern und von einer Gedenktafel abzusehen. Der Dekan Saalfrank erkennt dadurch eine veränderte Situation, während die Stadtratsfraktionen an der Info-Tafel festhalten.


    Bereits am 18. Oktober berichtet die Frankenpost aber dann, dass die CSU-Fraktion im Hofer Stadtrat nun die Frage der Umbenennung über einen Bürgerentscheid zur Wahl stellen möchte und deshalb ein Ratsbegehren dazu eingereicht habe. Am 24. Oktober wird, unter der Überschrift "Eine Frage von politischer Bedeutung", ausführlich (in der Frankenpost) über Bürgerentscheid und Ratsbegehren berichtet. Der Stadtrat muss demnach am 15. November über das Ratsbegehren entscheiden. Am 25. Oktober erfahren wir - über die Frankenpost - dass die ersten Vorschläge für einen neuen Straßennamen genannt werden, im Gespräch sind die "Dietrich Bonhoeffer Straße" oder auch die "Doris-Weber-Straße".


    ?( ?( ?(


    Nachtrag: Viele wollen Weber-Straße (28.10.2013 Frankenpost)


  • Nochmal als Hinweis für diejenigen, die in dieser ganzen unsäglichen und lächerlichen Diskussion einigermassen den Überblick behalten wollen:


    http://www.dekanat-hof.de/meinungdesmonats/meinungaug13.htm


    Hier ist das ganze Affentheater, mit dem sich der Hofer Stadtrat bis zurück in die Steinzeit hinein lächerlich gemacht hat, sehr schön chronologisch dargestellt.


    Grüsse
    Jörg

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  • Zitat aus dem vorstehend erwähnten Bericht des Bayerischen Rundfunks:


    "Bis heute darf die von Dietlein verfasste Chronik aus den 1940er-Jahren nicht mehr nachgedruckt oder verkauft werden"


    Das ist wieder ein typisches Beispiel für die Entstehung von "Urban Legends". Natürlich kann die Dietlein-Chronik weiter verkauft werden, es gibt genügend antiquarische Angebote, z.B. beim Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher (ZVAB):
    http://www.zvab.com/basicSearc…uthor=&title=&check_sn=on


    Grüsse
    Jörg

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