Der Ungeist marschiert mit

  • Es liegt mir fern, an dieser Stelle überzureagieren oder gar als Pedant dazustehen, doch zeigt das heute in der FP angeführte Beispiel zum Umgang mit der deutschen Vergangenheit einmal mehr, dass anscheinend mancherorts die Aufklärung über die wahren Ausmaße des NS-Regimes noch nicht bis in alle Ebenen vorgedrungen ist. Kurz für alle jene, denen der Artikel nicht zur Verfügung steht: Beim Wiesenfest in Selb lief eine Schulklasse mit T-Shirts auf, die man, was an sich eine sehr schöne Idee gewesen ist, mit alten Plakaten aus den vergangenen Jahrzehnten bedruckt hatte. (http://www.frankenpost.de/regi…geist-mit;art2388,2710050)


    Die ältesten erhaltenen Tafeln stammen aus dem Jahr 1936, weswegen man mit diesen unbekümmert jene neue Tradition begründete, wobei man anscheinend übersah, dass die dargestellten Personen (allesamt junge Kinder) per excellence dem Geist der NS-Diktatur entsprachen (arisierte, stramme Jungen mit blauen Augen und blondem Haar). Vermutlich im Glauben, die Besucher würden die auffallende Ähnlichkeit nicht merken, so man die eindeutigen Zeichen des Regimes entfernte (die Hakenkreuze in den Standarten hatte man schlicht durch das Stadtwappen ersetzt) ließ man anschließend die Kinder einer 6. Klasse im Festzug aufmarschieren.


    Es stellt sich dabei dem Leser, der bei der morgendlichen Lektüre der Frankenpost über den entsprechenden Bericht zu diesem Zwischenfall gestolpert ist, die Frage, was denn bei der Planung dieser Aktion schief gelaufen sein könnte. Sicher sind die Argumente, es handele sich auch bei solchen Plakaten um wichtige Dokumente der Zeitgeschichte, voll und ganz nachvollziehbar, doch schließe ich mich ganz klar der Meinung des in diesem Zusammenhang zitierten Leiters des Dokumentationszentrums Nürnberg an, der da sagte, dass solche Objekte nicht ohne aufklärende, quellenkritische Erläuterungen der Allgemeinheit präsentiert werden sollten - was, davon jedenfalls gehe ich aus, beim Wiesenfest-Umzug nicht der Fall gewesen sein dürfte.


    Wie gesagt, meine Lieben, will ich hier keineswegs als Tadelnder dastehen, doch verwundert mich ein solch unbekümmerter Umgang mit diesem dunklen Kapitel unserer Heimatgeschichte - zumal wir gerade erst mit einer kritischen Aufarbeitung angefangen haben (siehe dazu den neu-gegründeten AK NS in Hof; die Diskussion um die Straßennamen etc.)


    Liebe Grüße,


    Adrian Roßner


    P.S. Die Überschrift dieses Threads ist dem Pendant zum Bericht der Frankenpost entlehnt. Seid versichert, dass bei der Erwähnung des "Ungeistes" auch mir zuerst die Rede Goebbels im Zuge der Bücherverbrennungen 1933 in den Kopf gekommen ist, in der er vom "Ungeist der Vergangenheit" spricht, wenn er Brecht, Alföldi und Marx meint.

  • Die Diskussion ist sehr interessant. Ich habe dazu bisher keine klare Meinung. Mich würde sehr interessieren, was andere davon halten. Einige Beispiele:


    - Bei der Diskussion über die Umbenennung der Dietlein-Straße haben einige (auch hier im Forum) argumentiert, man solle die Umbenennung lassen, weil man damit die Duskussion unterdrücke (Stichwort: Aufarbeitung). Geht es hier nicht auch um Unterdrückung, nämlich der damaligen Plakate? Wenn die Schüler diese nicht gezeigt hätten, wäre es bestimmt nicht zu einer Diskussion gekommen.


    - Karl Bedal ist ein beliebter Künstler der Region. Er malte vor 1945 schon in demselben Stil (sagen wir "Heimatstil") wie später, zum Beispiel malte er die Hofer Kaserne um 1936 im militaristischen Sinne aus. Darf man jetzt keine Bedal-Bilder mehr ausstellen? Oder nur noch mit einer distanzierenden Bemerkung? Der Hofer Künstler Georg Max Hofmann hat idyllische Tier- und Landschaftsbilder gemalt. Er war ein überzeugter Nationalsozialist und hatte auch entsprechende Positionen. Die Idylle und klassische Malweise seiner Bilder störten das Regime nicht oder passten gut zu dessen Kunstauffassung, wenn man auch an den Bildern nicht direkt erkennen kann, dass ihr Schöpfer nationalsozialistische Gedanken vertrat. Nach 1945 malte er genauso weiter. Muss man bei jedem Kunstwerk seinen Entstehungszusammenhang und die Person des Künstlers berücksichtigen? Auch bei einer Ansicht der Kösseine in Öl? Darf man sich nicht an einer klassischen Malweise erfreuen, weil andere Künstler (Stichwort "entartete Kunst") verfolgt wurden? Propagiere ich NS-Gedankengut, indem ich Bilder in klassischer Malweise von Georg Max Hofmann ausstelle? Oder bin ich selbst ein verkappter NS-Anhänger, weil ich diese Bilder schön finde und sogar selbst eines gekauft habe?


    - Auf Fotos in der Werbung und in deutschen Modezeitschriften sind die Models sehr oft blond. Muss man jetzt alle Modezeitschriften verpflichten, nach Proporz braune, schwarze und rote Models zu bringen? Denn bekanntlich propagierten die Nationalsozialisten ja Blondheit als ihr Ideal. Wer "political correct" sein möchte (z.B. Otto-Katalog, da international vertrieben), nimmt neben den Blonden und Hellhäutigen ein paar Farbige (aber nicht zu dunkel!), obwohl es in Deutschland kaum Farbige gibt, aber dieser starke Kontrast belegt die politische Korrektheit am deutlichsten. Indianer oder Asiaten hingegen kommen im Katalog nicht vor, weil ihr Schönheitsideal offenbar nicht werbefähig ist. Dabei gibt es wahrscheinlich viel mehr Asiaten in Deutschland als Farbige. Der Versuch, nicht rassistisch zu wirken, endet so in der Diskriminierung anderer, oder?


    Ich sehe die Gefahr, unbewusst NS-Ideale zu übernehmen, ich sehe aber auch die Gefahr, hier in eine absolute Gewissens- und Verhaltenskontrolle zu geraten. Endet das nicht in einer Verkrampfung, wie der, wenn man in jedem Satz versucht, Männer und Frauen gleichermaßen anzusprechen (Stichwort "großes Binnen-I", z.B. "LäuferInnen" statt "Läuferinnen und Läufer")? Wie soll man sich verhalten? Im Übrigen hat der Nationalsozialismus ja auch nichts selbst erfunden, sondern seine Lehre und Praxis aus Versatzstücken anderer Lehren und Praktiken gebastelt. Wenn ich Anklänge an den Nationalsozialismus völlig streichen will, streiche ich dann nicht einen erheblichen Teil unserer Geschichte?


    Wer hilft?

  • Karl Bedal ist ein beliebter Künstler der Region. Er malte vor 1945 schon in demselben Stil (sagen wir "Heimatstil") wie später, zum Beispiel malte er die Hofer Kaserne um 1936 im militaristischen Sinne aus.


    Natürlich braucht man nicht bei jedem der Bedalschen Nachkriegsbilder auf seine Kasernengemälde hinweisen. Bei einer Gesamtbetrachtung Bedals sollte aber diese Facette schon erwähnt werden - vor allem wenn man sich zusätzlich vergegenwärtigt, wie diese Wandbilder damals gewürdigt wurden:
    "Die Flure des Hauses lassen ein Bilderbuch der Soldatengeschichte vorüberziehen, das im 1. Obergeschoß mit Wandbildern aus germanischer Vorzeit beginnt und im Erdgeschoß den Aufbau der Wehrmacht im neuen Reich schildert. Die soldatischen Gestalten treten in ihren zeitgegebenen Gewandungen, ihren Waffen und Wehren aus dem Weiß der Flure wieder hervor. Wandschriften vermitteln den Wesenskern der Zeitabschnitte.
    Das Anfangsbild, ein Hünengrab mit der Unterschrift: „Schon vor 3000 Jahren galt bei unseren Vorfahren das: „Ohne Wehr keine Ehr“ - charakterisiert den auserwählten Geschmack, mit welchem der Künstler an sein Werk herangetreten ist.“

    Über den "auserwählten Geschmack" lässt sich sicher auch trefflich streiten - Tatsache ist aber, dass die Malkunst Bedals seinen damaligen Vorgesetzten so wichtig war, dass man ihn weit länger als notwendig in seiner Ausbildungseinheit in Hof ließ. Er war vom 10.9.1939 bis 23.5.1940 als Schütze beim Ersatz-Bataillon 481 im Dienst und blieb in dieser Zeit vom Fronteinsatz verschont. Es wirkt schon etwas merkwürdig, daß man zum bestimmt nicht kriegswichtigen Ausmalen der Kasernengebäude einen Soldaten mehr als 8 Monate in einer Grundausbildungseinheit beließ, obwohl die Frontverwendungsfähigkeit von Rekruten im Herbst 1939 innerhalb acht, aber spätestens nach 12 Wochen erreicht sein mußte.
    (Quelle: Stadtarchiv Hof, M 90 Standortchronik Hof, S. 85 f.)


    Die oben erwähnte "political correctness" kann ich langsam nicht mehr hören - das führt nur dazu, das Tatsachen nicht mehr klar ausgesprochen werden dürfen. Aus "verhaltensgestört" wurde im Sozialpädagogenslang "verhaltensauffällig" und jetzt sind wir bei "verhaltensoriginell". Die Berliner Polizei spricht in ihren Einsatzberichten nicht mehr von Randalierern, sondern von "erlebnisorientierten Jugendlichen". Wenn dann doch gegen diese Personen eingeschritten werden muss, geschah dies früher unter Wahrung der Verhältnismässigkeit der Mittel, heute nennt man das "Anwendung kundenschonender Verfahren".


    Der Gartenzwerg heißt übrigens politisch korrekt nicht mehr Gartenzwerg, sondern "vertikal gehandicapte Zierfigur hortikultureller Art".

    Fränkische Wahrheit: Zwei Besatzungsmächte haben wir gehabt - die Amerikaner und die Bayern. Die Amerikaner sind wir los.

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