Okkultismus und Beschwörungen

  • Liebe Leser,


    Okkultismus und Beschwörungen - ich bin mir ziemlich sicher, dass nun beinahe jeder von Ihnen zuerst an das sechste und siebente Buch Mose denkt, eine Sammlung angeblicher Zaubersprüche und Formeln zur Anrufung des Bösen. Fakt jedoch ist, dass es sich bei dieser sogenannten Zauberkunst lediglich um ein Werk verschiedener Esoteriker handelt, die vor allem im 18. Jahrhundert versucht haben, eben jene Sprüche zu sammeln, die Mose angeblich gegen die Ägypter angewandt haben soll. Ich hoffe, niemanden damit zu beleidigen, wenn ich diese "dunkle Kunst" als reinen Humbug abtue, doch gibt oder besser "gab" es dereinst tatsächlich Menschen, die sich auf die Zauberei verstanden. Bitte beachten Sie dabei den kleinen aber feinen Unterschied zwischen "Zauberei" und "Magie": Während das eine das Beherrschen verschiedener Rituale bezeichnet, wird das andere gerne als Sammelbegriff für mittlerweile ziemlich alles "zauberhafte" verwendet, wobei auch Taschenspielertricks und Kinderbelustigung mit inbegriffen sind.


    Vielerorts fanden sich vor allem bei der Renovierung alter Gebäude Zaubersprüche in Form von "Himmelsbriefen", "Feuersegen" oder auch als sogenannte Feuerkugeln, doch gab es in der Tat auch damals schon Sammlungen von Ritualen, die den Menschen bei Krankheit helfen sollten. Ich sage hier bewusst "bei Krankheit", da sich in der Entstehungszeit dieser Bücher niemand daran gewagt hätte, den Teufel persönlich anzurufen, sondern man vielmehr versuchte, sich durch die Hilfe Gottes vor ihm zu retten. "Zauberei" beinhaltet also auch eine christliche Komponente und ist nicht nur mit Aberglauben gleichzusetzen. Sicher sah man damals viele Krankheiten als Strafe Gottes an und verdächtigte "Gewürm" das Übel alles Bösen zu sein, doch genauso war man der festen Überzeugung, dass man sich durch die Hilfe Gottes, Jesu Christi und der Heiligen davon befreien konnte - gern zog man auch "Könige", wie etwa Salomon mit heran. Wichtig dabei waren keineswegs die Sprache oder der Satzbau, der teilweise recht chaotisch auf den Leser wirken mag, sondern der Klang der Worte und das "Äußere" eines Textes. So bestehen Himmelsbriefe meist aus christlichen Symbolen, einigen lateinischen Satzteilen und den Worten "Gott" und "Christus" (Ich beschwere dich Würm; und Würm im Namen Gottes; und im Namen Jesu Christi und im Namen des Heiligen Geistes, beschwere ich dich; Gewürm, du sollst verdörren; Mathäus + Lukas + Johannes). Da viele der Käufer solcher "Segen" des Lesens nicht mächtig waren, trugen die Verkäufer ihre Schöpfungen noch einmal vor, weshalb natürlich auch der Tonfall der Schriftstücke stimmen musste, wohingegen Grammatik und Rechtschreibung in den Hintergrund traten. Besonders chaotisch wurde es dann bei Fällen, in denen man den Käufern glauben machte, der Segen helfe nur, solange man ihn selbst vom Original abschrieb.
    Gerade im 18. bis in das 19. Jahrhundert hinein wurden Zauberformeln und Beschwörungen, ebenso wie "Büss- und "Bittsprüche" in sogenannten Zauberbüchlein zusammengeschrieben, um sie so immer griffbereit zu haben. Da sie erst auf dem Sterbebett weitergegeben werden durften, sind viele der alten Formeln mittlerweile verschwunden, doch haben sich, unter anderem im Münchberger Stadtarchiv und auch in vielen anderen Ortschaften, noch einige der Manuskripte erhalten. (Allein in Münchberg konnte ich bisher drei ausfindig machen und einige aus Kirchenlamitz und dem Inneren des Fichtelgebirgshufeisens sind bereits in transkribierter Form veröffentlicht worden). Als kleinen Ansporn für Sie und auch als Übung zum Lesen alter Texte, füge ich diesem Beitrag eine Seite aus einem "Himmelsbrief" bei. Es handelt sich dabei um eines der Exemplare aus dem 18. Jahrhundert, das Original befindet sich im Münchberger Stadtarchiv.


    Sollten Sie also das nächste Mal "Sakrileg" oder "Die neun Pforten" etc. im Fernsehen sehen, haben Sie dabei im Hinterkopf, dass es sich bei solchen angeblichen "Ritualbüchern" um reine Hollywood-Verklärung handelt, es jedoch tatsächlich noch richtige Formelsammlungen gibt, die auch heute noch, nach mehr als 200 Jahren, dazu in der Lage sind, uns magisch zu verzaubern.


    Adrian Roßner


  • "Zauberei" beinhaltet also auch eine christliche Komponente und ist nicht nur mit Aberglauben gleichzusetzen.



    Hallo Adrian,


    du sprichst hier ein sehr interessantes aber auch gewagtes Thema an.


    Vor allem wenn du wie oben zitiert Zauberei mit christlichen Glauben und Aberglauben in Verbindung bringst.


    Ich bin mal auf die folgende Diskussion gespannt. Wie gesagt, ein hoch interessantes und zugleich zeitloses Thema, welches auch heute noch aktuell ist.


    Dieter

  • Hallo Dieter,


    Es würde mich sehr freuen, wenn sich um dieses Thema eine kleine Diskussion ausbilden würde, da es einmal mehr ein bislnag leider nur recht dürftig beleuchtetes Kapitel der Lokalgeschichte ist. Ich möchte hier noch einmal kurz auf den von dir angesprochenen Satz eingehen: Es ist sicher allgemein bekannt, dass unsere Region erst relativ spät, im 11. bis 12. Jahrhundert, von den sogenannten Heidenbekehrern christianisiert worden ist, wobei selbst Camille de Tournon in seiner "Statistique de la Province de Bayreuth" schreibt: "Die Menschen aus dem Volk bekennen sich fast ausschließlich zur lutherischen Konfession, die nur wenige religiöse Andachtsübungen kennt, und sind nur mäßg gläubig, daher haben sie sich eine Welt von Geistern und Hexen geschaffen, von der sie sich um nichts in der Welt abkehren wollen. Auf diese Weise scheinen sie die Leere ersetzen zu wollen, welche die in ihren Glaubensansätzen allzu schlichte reformierte Kirche in ihren Seelen hinterlässt" (De Tournon, Camille: "Statistique de la Province de Bayreuth", 1809, Übers.: Bettina Schiller, Historischer Verein für Oberfranken, 2002)


    Wichtig bei einer solchen Quellenanalyse ist natürlich auch, den Hintergrgund für diese Aussage zu erfassen: Es ist vollkommen klar, dass de Tournon damit auch Kritik an der lutherischen Kirche an sich üben will, doch ist seine Klage aufgrund des allzu weit verbreiteten Aberglaubens nicht einfach von der Hand zu weisen. Vor allem auf dem Lande konnte sich neben der christlichen Kirche noch lange der Glaube der Ahnen behaupten, wenn auch die Gestalten von Göttern zu Dämonen gemacht worden sind und sich so zum Beispiel im Wilden Jäger der nordische Gott Wodan widerspiegelt. Es ist aber doch auch klar ersichtlich, dass ohne die strenge Rute der Kirche kein Aberglaube existieren könnte - wie hätten sonst die Schäflein dazu in der Lage sein sollen, zwischen wahrem und falschem Glauben zu unterscheiden? Helmut Birkhan schreibt in seinem sehr empfehlenswerten Werk "Magie im Mittelalter" unter dem Punkt "Der kirchliche Einschlag in Volksaberglauben und Magie", dass vor allem die ländlichen "Pfaffen" stark an der Verbreitung des Aberglaubens mitgewirkt haben - und zwar dadurch, dass sie sich nicht auf die Ebene des Volkes begeben, sondern vielmehr mahnend und aufgrund des vorherrschenden Lateins in der Predigt meist auch unverständlich zu diesem gesprochen haben. So ist es erklärbar, dass aus dem Segen "hoc corpus est", die Zauberformel "Hokuspokus" wurde, deren genauen Sinn man nie richtig verstand. Hokuspokus beschreibt auch heute einen offenbar falschen, dennoch aber nicht ergründbaren Zauber.


    Zum Abschluss möchte ich nun etwas auf meinen Vortrag "Auf den Spuren der schwarzen Kunst" vorgreifen, aus dem ich im folgenden indirekt zitiere:
    In einer Zeit des unerschütterlichen Gottesglaubens, der jedoch auch begleitet wurde von der Angst vor der Allgegenwart des Bösen, des Belzebub (im Übrigen entstanden aus Baal Zebub, dem Schutzgott der Babylonier), des Satan, suchte man dringend nach einer Antwort auf folgende Frage - "Kann Gott wollen, dass die Erde in Krieg versinkt und Angst und Krankheit über die Menschen hereinfallen?" Eine positive Antwort auf diese Frage kam den Hirten natürlich nicht über die Lippen und so suchte man nach einem Gegenspieler, der für all das verantwortlich zeichnete, was nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar war - es entstand der Satan. Um die Menschen an seine Allgegenwart zu erinnern und sie nicht nur durch die Angst vor dem ewigen Fegefeuer zu züchtigen, brauchte der Böse "Vertreter", die unter dem gewöhnlichen Volke weilten und der Grund dafür waren, dass Satan trotz der göttliche Übermacht hin und wieder Krankheiten ausstreuen konnte: Es entstand das Bild der "Hexe", dem vor allem eben jene Frauen (und auch Männer) zum Opfer fielen, die bei Krankheiten nicht, wie von der Kirche vorgeschrieben, nur direkt auf Gottes Hilfe hofften, sondern in der göttlichen Schöpfung nach Arzneien suchten und so manch heilende Wirkung eines bis dato unbeachteten Krautes entdeckten.


    Um nicht meinen gesamten Vortrag hier im Forum schon vorab preiszugeben, möchte ich für's Erste abschließen und bin gespannt auf eure Beiträge!


    Adrian Roßner

  • Zwar fehlen in der "P.M. History" nur allzu oft vernünftige Quellenangaben und man versucht generell das auch von mancher Fernsehsendung benutzte "Infotainment" zur Unterhaltung der Leser mit einzubeziehen, doch findet sich in Heft Nr 11/2011 mit dem Artikel "Eine christliche Geschichte der Hölle" ein sehr guter Überblick über die historischen Grundlagen und die Einbeziehung früherer Religionen in das christliche Verständnis von Hölle, Teufel und Fegefeuer.


    Liebe Grüße,


    Adrian

  • Jedem, der sich für das Thema interessiert, möchte ich das Büchlein "Zauber, Riten und Rezepte - Geheimärzte und Waldmänner im Fichtelgebirge" von Dr. Wolfgang Ernst, erschienen im Verlag von Heinz Späthling in Weißenstadt (ISBN 978-3-926621-55-9) ans Herz legen. Der Autor beschäftigt sich darin mit einer Handschrift, welche ich vor Jahren im Stadtarchiv Marktleuthen entdeckt habe. Sie enthält auf über 200 engbeschriebenen Seiten eine Vielzahl von magischen Anleitungen, Zaubersprüche und Amulette für alle Zwecke des Alltags, für Gefahren, Krankheiten, Kriegseinflüsse und Hexerei, aber auch eine Fülle von kräutermedizinischen Rezepten gegen alle möglichen Erkrankungen. Verfasst wurde dieses Buch um 1785 von Johann Anger in Röslau, der aus einer Familie stammte, die sich über Generationen hinweg als "Besprecher, Büßer und Laienapotheker" betätigte.

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