Liebe Forumsteilnehmer,
Ich denke doch, nichts ist so charakteristisch für eine Gemeinde wie ihre Kirche - sie ist das erste, was man von der Siedlung sieht und auch das, was man am regelmäßigsten wahrnimmt, denn immerhin gibt es keinen Kirchturm ohne wenigstens eine Glocke. Manchmal ist allerdings das, was sich hinter dem regelmäßigen Schlagen der alten Klangkörper befindet genauso interessant, wie sie selbst! Vielerorts werden die Turmuhren heute via Funk gestellt, so zum Beispiel auch in Münchberg und Zell, wobei manchmal die alten Werke auf dem Dachboden stehen gelassen werden, da, so sagte mir ein alter Uhrmacher, deren Abtransport nicht mit im Preis für die neue Uhr inbegriffen sei. Bei meinen Ausflügen durch die Region, steige auch hin und wieder einmal der Kirche auf's Dach, wobei ich manchmal solche alten Werke sehe und immer, wirklich immer, ihr Schicksal bedaure. Einst als Meisterwerk der Mechanik gebaut, fristen sie nun ein Dasein zwischen alten Gesangsbüchern, Kirchbänken und Unmengen von Staub - und dabei handelt es sich bei diesen Werken nicht einmal um "die ganz alten", sondern um Exemplare aus den 20er bis 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. "Richtige" Uhrwerke, wie man sie häufig in den Heimatsendungen des BR sehen kann, bei denen noch wackere Uhrwächter mit einer Kurbel die schweren Gewichte nach oben ziehen, sucht man bei uns mittlerweile fast vergeblich. Ich möchte hier drei Beispiele für die wechselvollen Historien der alten Zeitmesser geben.
1. Die Stadtkirche in Münchberg: Laut Akten im Münchberger Stadtarchiv wurde die Kirche bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1872 von der bekannten Firma Rammensee aus Gräfenberg beliefert, die unterhalb des Glockenstuhls ein Werk aus Schmiedeeisen installierte, das seinen Dienst nur knapp 50 Jahre verrichten sollte. Mitte der 20er wurde es durch ein gusseisernes Exemplar ersetzt. Von beiden Werken ist heute keine Spur mehr vorhanden, doch findet sich auf der Orgelempore, abgeschirmt von den Treppen für die Kirchenbesucher ein großer blauer Kasten, der in meinen Augen einen Schatz birgt: Es handelt sich dabei um ein Uhrwerk aus den 50er Jahren, das die Faszination der Mechanik mit der Genauigkeit einer elektrischen Uhr verbindet. Schon lange habe ich ein Auge darauf geworfen, da ich fürchte, dass es der nächsten Renovierung zum Opfer fallen wird, doch hat sich bisher noch nichts in dieser Richtung getan und so trotzt es weiterhin dem durch die rissigen Fenster pfeifenden Wind. Ein historisches Uhrwerk derselben Manufaktur im Rathaus wurde übrigens erst vor einigen Jahren verschrottet, ohne dass Sammler davon in Kenntnis gesetzt worden sind!
2. Auch auf dem Kirchturm in Zell findet sich ein solcher Schatz, hier allerdings in einem weitaus besseren Zustand und noch am originalen Stellplatz - dieses Werk "läuft" über ein Pendel, gibt jedoch in regelmäßigen Abständen ein Signal an darunter befindliche Motoren, die dann die Zeiger stellen und die Glocken läuten. Hier kann selbst ich mich noch daran erinnern, es in meiner Kindheit in Aktion gesehen zu haben. Auch in Zell befand sich bis in die 60er Jahre, als das letzte Mal von einer Instandsetzung der mechanischen Uhr die Rede ist, noch das alte Werk von 1837 - mittlerweile: Spurlos verschwunden! Mein Großvater berichtete mir, dass er als Kindergarten-Kind noch ab und zu das Werk aufziehen durfte, wobei es sich bei den Gewichten um simple Holzkisten handelte, die mit Steinen gefüllt worden sind.
3. Zum Abschluss noch eine Erfolggeschichte: Die ehemalige Präparandenschule in Münchberg wurde im Jahr der Fertigstellung 1910 - übrigens wieder von Rammensee - mit einem Uhrwerk beliefert, das ich für meine 2010 zusammen mit Frau Münzer-Glas konzeptionierte Jubiläums-Ausstellung "vom Turm holen wollte". Leider kam ich zu spät: Alles, was ich sah, waren die Löcher für Pendel und Gewichte. Später fand ich heraus: Das Werk war vor knapp 20 Jahren durch das Dachfenster HINUNTERGEWORFEN worden! Ein ehemaliger Lehrer hatte es aus dem Container gerettet. Allerdings fand ich dennoch ein Kleinod: Auf einem alten Balken stand, zugedeckt mit einem Eisendeckel, ein alter Motor, der, durch eine elektrische Uhr gesteuert, die Zeiger bewegte - wahrscheinlich von 1950 bis Mitte der 90er. Als ich erfuhr, dass der Dachboden komplett geleert werden sollte, nahm ich den Motor für die Ausstellung mit. Da ihn danach keiner haben wollte (die Schule hatte keinen Platz und auf den Dachboden durfte er ja nicht mehr), steht er seitdem funktionsfähig bei mir im Zimmer! Deshalb: Solltet ihr irgendwo ein altes Uhrwerk finden, das "entsorgt" werden soll, nehmt bitte mit mir Kontakt auf. Mittlerweile kenne ich genügend Leute, die es restaurieren oder gar in ihr Museum integrieren würden. Helft mit, damit nicht noch mehr Wunder der Mechanik achtlos verschrottet werden!
Adrian Roßner
P.S. Auf den Bildern seht ihr: Die Mechanik des alten Werkes aus den 50er Jahren in der Stadtkirche Münchberg, das neue Funkwerk, den Steuerungsmechanismus in Zell und die Uhr der Präparandenschule, die mittlerweile geborgen worden ist.