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Jörg Wicke Burg und Schloss der Vögte zu Plauen Burg und Schloss der Vögte zu Plauen Das Schloss der Vögte in Plauen (Vogtlandkreis, Sachsen) lag lange Zeit vor der Öffentlichkeit und der Forschung verborgen hinter dem Stacheldraht einer Justizvollzugsanstalt. Die Zellentrakte des 19. Jahrhunderts wurden in den Jahren 2013 und 2014 abgerissen. Auf dem Gelände soll zukünftig die Staatliche Studienakademie Plauen untergebracht werden. Noch vor der baulichen Detailplanung, aber schon im Hinblick auf die großlächige Umgestaltung des Geländes, führte das Landesamt für Archäologie Sachsen ab März 2014 eine zwölfmonatige Ausgrabung durch, deren Ergebnisse eine Lücke in der mitteldeutschen Burgenforschung schließen1. Bis auf eine kleinere Nachuntersuchung im Frühjahr 2016 laufen seitdem die Auswertungsarbeiten2. Geschichtlicher Hintergrund Plauen liegt zentral in der historischen Region Vogtland, die sich heute über das Grenzgebiet zwischen Böhmen, Oberfranken, Thüringen und zum größten Teil Sachsen erstreckt. Durch moderate Relieierung und niedrigere Höhenlagen bieten die Landschaften hier günstigere Siedlungs- und Wegemöglichkeiten als das sich im Osten anschließende Erzgebirge. Große Bedeutung für die regionale Erschließung und Entwicklung trugen zwei Flüsse. Die Weiße Elster verbindet Böhmen mit Mitteldeutschland, insbesondere mit Leipzig und Halle. Das Einzugsgebiet ihres Oberlaufes bildet den topograischen Kern des Vogtlandes, und nicht weit von ihrem Ufer reihen sich die drei maßgeblichen Herrschaftsmittelpunkte Weida, Gera und Plauen. Entlang der Saale Abb. 1. Vogtland um 1650. Etwa in der Mitte des historischen Vogtlands liegt Plauen. Das Gebiet gehört heute größtenteils zu Sachsen, der Westen zu Thüringen, der Südwesten zu Oberfranken, der Süden zu Tschechien. Genordete Karte, der Abstand Plauen – Oelsnitz beträgt 10 km (Ausschnitt aus: Justus Danckerts, „Marchionatus Misniae [...]“ kolorierter Kupferstich, Arnstadt, um 1650 (SLUB Dresden, Kartensammlung, Signatur: KS A13557). Burgen und Schlösser 4/2016 verlief seit dem Frühmittelalter die thüringisch-fränkische Grenze, ihr Tal bildet zugleich den geograischen Korridor zwischen Oberfranken und Mitteldeutschland. Viele Ortsnamen, aber nur wenige archäologische Nachweise zeugen von einem slawisch geprägten Beginn der Besiedlung im Mittelalter3. Die Gegend um Plauen wird 1122 urkundlich als territoriale Einheit umrissen und als Dobnagau bezeichnet. Belegt ist eine Kirche im Hauptort, dem vicus Plawe. Auf dem als Dobenau bekannten Felsen etwas außerhalb der Altstadt Plauens wird aufgrund weniger baulicher Relikte der befestigte Mittelpunkt des Dobnaugaues vermutet4. Ab dem 12. Jahrhundert förderten verschiedene Vasallen den Landesausbau durch überwiegend aus Franken stammende Siedler. Die Familie von Weida nahm dabei eine hervorragende Stellung ein. Zunächst auf die nordwestliche Grenze des nachmaligen Vogtlandes beschränkt, dehnte sie ihren Einluss bis nach Oberfranken und in das Egerland aus. Mitglieder der Familie Weida übernahmen Vasallen anderer Fürsten in ihre eigene Ministerialität und verstanden es, ihre Position im 13. Jahrhundert weiter auszubauen. Ab 1209 führten sie den Titel advocatus, d. h. Vogt, der namengebend für ihr Herrschaftsgebiet werden sollte. Die ausschließliche Nutzung des Vornamens Heinrich für alle männlichen Nachkommen – selbst unter Brüdern – wurde beibehalten5. Vor 1224 gelangte Plauen als Lehen an die Weidaer Vögte, und 1244 erscheint in den Quellen einer der Heinrichinger erstmals ausdrücklich als Vogt von Plauen6. Er erweiterte das Stadtgebiet auf fast die doppelte Größe7. Folgt man den Nennungen in den Urkunden, wurden dabei die ursprünglichen Lokatoren Plauens verdrängt: das Geschlecht der Eversteiner, mit Stammsitz bei Holzminden (Niedersachsen), auf die möglicherweise die Reste einer Stadtburg, das heutige Malzhaus an der südwestlichen Ecke des Mauerrings, zurückgehen (Abb. 4, Nr. 4). Ob und wie lange die Stadtburg der nunmehrigen civitas vom Vogt genutzt wurde, ist unbekannt; lange vermutet und nun durch ar205 Jörg Wicke Abb. 2. Burgen im sächsischen Vogtland (unvollständige Kartierung) mit aktuellen Gemarkungsgrenzen und angedeutetem Relief. Der die Karte NordSüd-querende Geländeeinschnitt entspricht dem Tal der Weißen Elster. Die Gemarkung Plauen ist hervorgehoben (Punktdaten nach Billig/Buchner 1979 [wie Anm. 10] und Ortsakten des Landesamtes für Archäologie Sachsen, Ge-ländemodell nach Daten von Jarvis et al. 2008, Hole- illed seamless SRTM data V4, International Centre for Tropical Agriculture (http://srtm.csi.cgiar.org). Gemarkungsgrenzen: Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen). chäologische Funde untermauert, ist es jedoch wahrscheinlich, dass sich Heinrich I., Vogt von Plauen, in topograischer Opposition zu dieser Anlage auf einem alles überblickenden Sporn, eine neue Burg, das „Schloss der Vögte“, errichtete (Abb. 4, Nr. 1). Neben der verteidigungstechnisch günstigen Geländesituation spielte bei der Platzwahl wahrscheinlich auch der wichtige Elsterübergang in Form einer 1244 erstmals erwähnten Steinbrücke zu Füßen des Schlossberges eine Rolle. Wichtig erscheinen in der Urkunde von 1244 ebenfalls die seit Beginn des 13. Jahrhunderts engen Beziehungen zwischen den Vögten und dem Deutschen Orden, dem nun größere Teile des Stadtgebietes gestiftet wurden. Der Orden legte neben der ihm spätestens 1224 überlassenen Johanniskirche eine Komturei an (Abb. 4, Nr. 3)8. Bis Mitte des 13. Jahrhunderts agierten die Vertreter der gesamten Vogtsfamilie nach außen hin einheitlich und erweiterten ihre terra advocatorum zu maximaler Ausdehnung. Im 14. Abb. 2a. Ersterwähnungen von insgesamt 85 Burgen im sächsischen Vogtland. Die Häuigkeit ist jeweils für ein Vierteljahrhundert angegeben. (Angaben aus: Billig/Buchner, Verzeichnis [wie Anm. 10]). 206 Jahrhundert jedoch wendete sich das Blatt, als die benachbarten Markgrafen von Meißen und das böhmische Herrscherhaus expansive Tendenzen entwickelten. Die Vogtlinien richteten sich in z. T. gegeneinander zielenden Bündnissen mit den beiden Nachbarn ein; das Haus Plauen begab sich 1327 unter böhmische Lehnsherrschaft. Schließlich kam es zum Vogtländischen Krieg 1354 bis 1357, in dem der böhmische Kaiser Karl IV. (* 1316, † 1378) und der Wettiner Friedrich der Strenge (* 1332, † 1381) gegen die Vögte vorgingen und viele ihrer Burgen vernichteten. Inwieweit auch Plauen davon betroffen war, ist bisher nicht bekannt. Im Januar 1430 verwüstete ein hussitisches Heer dann noch einmal das Vogtland, mitsamt Stadt und Burg Plauen. Der Vogtstitel scheint um 1370 erledigt gewesen zu sein; König Sigismund (* 1368, † 1437, ab 1433 Kaiser) verlieh jedoch dem Plauener Heinrich X. die Burggrafschaft Meißen für dessen Verdienste gegen die Hussiten. Meißen war Hauptsitz der mittlerweile zu Kurfürsten aufgestiegenen Wettiner, die dem Plauener lediglich den Titel der Burggrafschaft überließen und alle übrigen damit verbundenen Privilegien für sich beanspruchten9. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wuchs der Einluss der Wettiner über die Herrschaft Plauen, die das Schloss als Amts- und Gerichtssitz nutzten. 1548 ielen große der Teile Plauens einem Brand zum Opfer, und noch 80 Jahre später wurde das Schloss von Wilhelm Dilich (* 1571, † 1650) als Ruine abgebildet. Nach Einteilung der wettinischen Sekundogeniturfürstentümer iel Plauen mit dem größten Teil des Vogtlandes an die Sachsen-Zeitzer Linie (1656 bis 1718), die in den 1670er-Jahren das Schloss kurzzeitig als Nebensitz wiederbelebte. Danach wurden die Gebäude vollends zu Arbeits-, Wohnund Wirtschaftszwecken eines Amtes umgestaltet und ab 1852 Gefängnisgebäude im nordöstlichen Hinterland des Schlosses errichtet. Burgen im Vogtland Die regelmäßige Aufteilung befestigter Anlagen auf die heute bestehenden Gemarkungen des Sächsischen Vogtlandes10 legt eine große Kontinuität der Gemarkungsgrenzen seit ihrer Absteckung nahe. Obwohl Burgen und Schlösser 4/2016 Burg und Schloss der Vögte zu Plauen Abb. 4. Plauen um 1732 mit Höhenlinien und Kennzeichnung wichtiger historischer Anlagen (Kartengrundlage von Oberlandfeldmesser Christoph Moritz Dietz [* um 1700, † nach 1779], kolorierte Federzeichnung 1732; georeferenziert, Hauptstaatsarchiv Dresden, 12884, Schr 011, Abb. 3. Dobenau in Plauen. Farbkodiertes Geländemodell, F 008, Nr 018). die höchsten Punkte liegen bei 384 m über NHN (rot), die niedrigsten bei 356 m (blau). Höhenlinien im Abstand 1 Schloss der Vögte, von 0,5 m. Deutlich setzt sich der zweite Halsgraben ab. 2 Elsterbrücke (Steinbau, 1244 ersterwähnt), Weniger klar, weil verschüttet, ist der erste Halsgraben 3 Johanniskirche (1122 geweiht), östlich davon Komturei etwa 15 m nordöstlich davon zu erkennen. Bis auf Reste des Deutschen Ordens, dem die Kirche vor 1224 übereignet der Kernburg-Ringmauer sind keine Bauten obertägig er- wird, halten. Die Terrassenbildung an den Flanken des Sporns 4 Stadtburg (1224 erwähnt), stammt aus jüngerer Zeit (Rechnerisch entwaldetes Gelän- 5 Rathaus, demodell mittels Structure from Motion nach Daten einer 6 Dominikanerkloster (zweite Hälfte 13. Jahrhundert). Foto-Drohnenbeliegung, Februar 2016). die Geländemorphologie in nahezu jeder Gemarkung die Platzwahl für mindestens eine Burg oberhalb der Talauen zuließe, beinden sich rund 60 % der Anlagen in den Niederungen. Diese wiederum bestehen fast ausschließlich aus kleinen Turmhügeln, sehr selten mit Nachweis von Steinbauten. Höhenburgen, bevorzugt auf Spornen, verteilen sich locker über die Region und bestehen meist aus mehreren Steingebäuden. Allein die Verteilung der Höhenburgen gegenüber den dichter gelegenen Niederungs- und Wasserburgen legt eine hierarchische Einteilung der Herrensitze nahe. Dazu kommt die oft repräsentativere Wirkung der höher gelegenen, meist größeren Anlagen gegenüber den Turmburgen in Tälern. Sicher ließen sich noch weitere Kriterien, wie etwa die umschlossene Fläche, für eine weitere Abstufung inden, doch sollen hier die genannten Kriterien vorerst genügen. Für kaum eine der Anlagen ist ein Gründungsdatum bekannt. Urkundliche Ersterwähnungen sind nur bedingt verlässlich, jedoch wird immerhin knapp die Hälfte der bisher aufgenommenen Anlagen bis 1300 in Burgen und Schlösser 4/2016 den Überlieferungen genannt – mit Schwerpunkt im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Das entspricht einem Zeitraum, in dem die Vögte kaum vom Kaiser/König kontrolliert und weitgehend frei agieren konnten11. Auch die offensichtliche Hierarchie der Anlagen mag man aus der Kenntnis zeitgenössischer Urkunden heraus deuten. Im Groben spiegelt sie das Verhältnis der reichsunmittelbaren Vögte in großen Höhenburgen wie Plauen einerseits und ihren kleinsten Ministerialen in im Tal gelegenen Turmburgen andererseits wieder12. Weitere Höhenburgen lassen sich auf Gründungen Dritter vor der Übernahme durch die Vögte von Weida zurückführen (z. B. Elsterberg, 1225 von den Lobdeburgern errichtet)13. Das Schloss der Vögte in Plauen – Anfänge bis um 1430 Der dreieckige Grundriss des Mauerberings wurde bereits in der Anfangsphase geprägt. Heute fällt dem Besucher als erstes der die Südspitze des Dreieckes markierende, repräsentative vierzehneckige Rote Turm mit Blick Richtung Stadt und Elsterbrücke auf – nicht zu verwechseln mit dem Dansker des Konventsgebäudes, der in der Überlieferung ebenfalls als Roter Turm bezeichnet wird. An der Nordspitze des Schlossgeländes steht ein unscheinbarer quadratischer Turm, und die östliche Spitze beherrschte der bis Mitte des 17. Jahrhunderts in Quellen nachgewiesene Weiße Turm. Keiner der drei Türme stammt aus der Frühzeit der Anlage; doch beindet sich nicht weit von der wahrscheinlich im 15. Jahrhundert errichteten landseitigen Außenmauer zwischen Weißem und Nordturm ein verfüllter Graben, der zu den stratigraisch ältesten Befunden zählt. Nach der jüngsten Dokumentation von 2016 schnitt dieser Graben den gesamten Sporn von der dahinter liegenden Hochläche ab. Mit weniger als 3 m Breite und etwa 2 m Tiefe wirkt die Abgrenzung unterdimensioniert. Wahrscheinlich war dieser Graben nur ein Annäherungshindernis unter vielen zur Landseite hin und lag dabei der Kernburg am nächsten. Dem Graben folgte burgseitig eine begleitende, in Lehm gesetzte Mauer; anschließend wurde 207 Jörg Wicke Abb. 5. Plauen, Ansicht des Schlosses der Vögte von Süden. Bis auf den Roten Turm, links vom Tor, trägt kein Gebäude ein Dach. Rechts steht der Weiße Turm. Zu Füßen beider Türme liegen Bastionen. Links vom Roten Turm ragen die Zwerchgiebel des Westlügels in den Himmel (Ausschnitt aus: Wilhelm Dilich, Urbium et Oppidorum et Arcium aliquot Septemviratus Saxononici et Misniae typi ac descriptionum isagoges, 1626-1629, Bl. XCI. Faksimile-Lithograie von Ehregott Zschille 1889, SLUB, KS B2890). ihr vermutlich ehemals in den Hang auslaufendes Westende durch einen massiven Steinbau ersetzt (Abb. 7, „Festes Haus 1“)14. Entlang der westlichen Hangkante wurden Teilgrundrisse von fünf Kellerräumen freigelegt, die sich zu zwei Gebäuden rekonstru- ieren lassen. Ein sechster Kellerraum lag abseits davon (vgl. Abb. 7, „Keller 1“ usw.). Der annähernd parallele Verlauf aller Grundrisse inklusive des Grabens deuten eine planvolle Geländeeinteilung an, zumindest lässt sich – außer an der Hangkante – kein von Abb. 6. Plauen, Übersicht über das gesamte Schlossareal von Nordosten. Links der Rote Turm (1425d), davor das Untere Tor. Im Vordergrund links die provisorisch stabilisierte Hangstützmauer, identisch mit der ehemaligen Zwingermauer; der Zwinger ist teilweise ausgebaggert. Vorne rechts mutmaßlicher Standort des Weißen Turms, hinten rechts der Nordturm. Im Mittelfeld die Ruine des Querhauses (16./17. Jahrhundert). Ganz hinten die Dächer der Altstadt mit dem Turm des neuen Rathauses (1916 fertiggestellt) (LfA Sachsen, Juni 2016). 208 vorgegebenen Strukturen auferlegter Zwang erkennen. An der westlichen Außenmaußer entstand ein weiteres massives Gebäude („Festes Haus 2“), das sich nicht an dem Schema der übrigen Gebäude ausrichtet und bisher nur durch die Bauabfolge grob in das 14./15. Jahrhundert datierbar ist. Nördlich von Keller 6 wurde ein sehr wahrscheinlich mittelalterlicher Brunnen freigelegt, der über 21 m tief bis in das Grundwasser der Flussaue hinabreicht. Bei späteren Baumaßnahmen beseitigte man mittelalterliche Laufhorizonte und aufgehendes Mauerwerk. Die mittelalterlichen Schichten wurden großlächig bis auf die Oberkante des anstehenden Diabas abgetragen, wahrscheinlich um im 17. Jahrhundert eine ebene Hofläche zu schaffen. Dadurch fehlen weitgehend Schichtanschlüsse zwischen den Grundrissen sowie Hinweise auf nichtunterkellerte Gebäude aus der ältesten Bauphase. Sehr wahrscheinlich befanden sich auch südlich der genannten Keller Gebäude, die spurlos beseitigt wurden. Mit dieser Tabula-rasa-Aktion vernichtete man nicht nur Bausubstanz, sondern dünnte auch die Fundlage beträchlich aus. Die Verfeinerung der Keramikchronologie steht noch aus. Mit etwas Glück lassen sich dann fehlende Schichtanschlüsse kompensieren, der Bauphasenplan detailreicher ausarbeiten. In der Lehmbindung von Keller 1 steckte ein uneinheitlich gebranntes Keramikfragment des 12. bis 14. Jahrhunderts. Fundreicher sind die Kellerverfüllungen vom Ende der ältesten Phase, die mit der sogenannten Vogtländischen Glimmerware15 in das 14./15. Jahrhundert verweisen und parallel zu einer Brandschicht mit gleichem Fundmaterial laufen. Die Brandschicht markiert ein erstes fassbares großes Katastrophenereignis, wahrscheinlich den Hussitensturm von 1430, bei dem das Schloss laut Quellenlage in Flammen aufging16. Die erste absolutchronologische Verortung eines Gebäudes gehört ebenfalls in dieses Jahrzehnt. Sie gelingt beim Roten Turm, dessen Baubeginn über Rüsthölzer dendrochronologisch in das Jahr 1425 gesetzt werden kann17. In dieser Zeit kämpfte der mutmaßliche Schlossherr Heinrich X. von Plauen bereits gegen die Hussiten und wurde deshalb von König Sigismund 1426 mit dem Ehrentitel des Burggrafen von Meißen belehnt: Des haBurgen und Schlösser 4/2016 Burg und Schloss der Vögte zu Plauen Abb. 7. Kartierung des Schlosses in Plauen. Die Orthofotos geben die 2014 ausgegrabenen Bereiche wieder. Farblich gekennzeichnet sind mittelalterliche Strukturen in Befund und Rekonstruktion. Die Helligkeit der Kennzeichnung gibt das tendenzielle Baualter wieder, dunklere Töne bedeuten höheres Alter. Nicht gekennzeichnet, aber in den Fotos gut erkennbar, sind die Fundamente des Westlügels, der sich sich zwischen den Festen Häusern 1 und 2 befand (LfA Sachsen). ben wir angesehen soliche grosse und merkliche dinste und true, die uns und dem heiligen riche und ouch der cron zu Behem der wolgeborn Heinrich von Plawen unser und des heiligen reichs hofrichter, rat und liber getruer und nu burggraff czu Myssen und graff zum Hartenstein offt und dick getruelich und williclich getan und ouch wider die keczer zu Behem leib und gut frylichen dar gesaczt hat18. Im Jahr der Turmgründung griffen hussitische Heere erstmals nach Norden aus und Heinrich sah wahrscheinlich auch seine Besitzungen in Gefahr. Der Turmbau zeugt von der Vorbereitung auf die nahenden Angreifer, allerdings – wie sich aus der Brandschicht lesen lässt – auch von der Vergeblichkeit dieses Bemühens. Burgen und Schlösser 4/2016 Abb. 8. Plauen, Schloss der Vögte. Im Vordergrund mittelalterliche Wand (1) von Kellergang 4; dahinter Keller 2 mit Lichtnische in der gegenüberliegenden Wand (2). Im Hintergrund links das Südwestende der Querhaus-Ruine mit Arkadenbogen (3) und Tür zum ehemaligen Wehrgang (16./17. Jahrhundert) (4). Rechts die westliche Außenmauer mit zugesetzter Kanonennische (zweite Häfte 15. Jahrhundert) (5). Ganz hinten rechts die Türme der Johanniskirche (LfA Sachsen, November 2014). Aus diesen Jahrzehnten stammen weitere größere Neu- und Umbauten, etwa der Abriss des Gebäudes über Keller 2, die Verlegung der westlichen Außenmauer über den Gebäudegrundriss hinweg weiter nach innen, die wahrscheinlich vollständige Verfüllung des oben erwähnten Grabens und die Aufführung einer neuen Außenmauer etwa 5 m nördlich davon. Die Gebäude über Keller 1 und 6 gingen in der Brandkatastrophe mutmaßlich 1430 unter und wurden nicht wieder errichtet. Aufgrund der genannten Probleme lassen sich noch nicht alle Gebäude eindeutig entweder der Phase vor dem Brand oder dem folgenden Abschnitt zuordnen. Denkbar wäre auch, dass die Bauleute auf der Baustelle vom Krieg überrascht wurden und nicht alle geplanten Änderungen vor dem erwarteten Hussitensturm fertiggestellt werden konnten, also die Neuund Umbauten als Wiederaufbau nach der Zerstörung fortgesetzt wurden. Kalkbrennofen Wie wortwörtlich der Begriff Baustelle zu nehmen ist, zeigt der Befund eines Kalkbrennofens mit rechteckiger Brennkammer aus dem 14./15. Jahrhundert19. Der Ofen wurde etwa zur Hälfte in den Verwitterungshorizont des anstehenden Diabas, zur anderen Hälfte in die Verfüllung des mittelalterlichen Grabens eingetieft. Von der Anlage sind die eingetieften Strukturen erhalten, die aus gegen die Ofengrube gesetztem Schiefermauerwerk 209 Jörg Wicke Abb. 9. Aufsicht der nordöstlichen Querhaushälfte. Im Bereich um den Brunnen sind einige Bauteile farblich hervorgehoben: rot: mittelalterlicher Brunnenring und zugehörige, im Bild teilweise wieder ausgenommene, Baugrube, orange: ein darin eingesetztes Fundament des Querhauses mit Bogen und Reste des Aufgehenden (Wand und Treppenwange), 16.-17. Jahrhundert, gelb: Überwölbung des Brunnenschachtes mit Ziegeltonne, darauf ein weiteres Fundament und Reste einer Verblendung, 1802d oder später. Im Nordosten zeichnet sich als rechteckiger Grundriss die teilweise ausgenommene Brennkammer des Kalkbrennofens ab. Die übrigen Bauteile gehören zum im 16./17. Jahrhundert errichteten und bis 1945 genutzten Querhaus (Orthofoto aus einem Structure-from-Motion-Modell nach Fotodrohnenbefliegung von C. Schubert, LfA Sachsen, 2014). und einem im Zugang freistehenden Pfeiler aus gleichem Material bestehen. Weitere Reste der Ofenwandung füllten verstürzt die Brennkammer. Trotz erheblicher Störungen bei Bodeneingriffen in späteren Zeiten lässt sich der Grundriss eindeutig als rechteckige Brennkammer in Nordwestsüdöstlicher Ausrichtung (ca. 4,5 x 4,1 m) mit ebener Sohle und rund gesetzten Ecken erkennen. Im Südosten schließt sich ein ansteigender Zugangsbereich („Ofenschnauze“) an, der von einem Pfeiler in zwei Gassen geteilt wird. Sehr auffällig ist die thermisch veränderte Gesteinsoberläche der Maueransichten. Der im natürlichen Vorkommen graue, grünliche bis lila gefärbte Tonschiefer ist an der Innenseite der Brennkammer schwarz, verglast und z. T. blasig bis schaumig aufgeworfen. Die Nutzung des Ofens zum Kalkbrennen wird spätestens mit den an Wänden und Sohle lächig anhaftenden Kalkresten augenfällig. Die erhaltene Wandhöhe beträgt 0,6 bis 0,7 m, die Wandstärke 0,4 bis 0,5 m. Die Verfüllung bestand ausschließlich aus abgebrochenem Material der Ofenwandung. Das nutzungszeitliche Gehniveau außerhalb des Ofens wur210 de abgetragen und ist nicht erhalten. Über den Abgleich der bekannten Mauermaße und dem Versturzvolumen lässt sich abschätzen, dass die Mauern vor Abbruch noch mindestens 1 m höher waren, der Ofen also insgesamt mindestens 1,5 m in die Erde eingetieft war. Sicher ragte der Ofenaufbau auch noch über das damalige Laufniveau hinaus, wie rezente Beispiele sogenannter stehender Kalköfen mit ähnlichem Unterbau und senkrecht darüber in die Höhe gebautem Schacht zeigen. In der Brennkammer eines solchen Ofens wurden Kalksteine als sogenannter „Einsatz“ dann zu einem Gewölbe – dem „Himmel“ – gefügt und der darunter beindliche Hohlraum mit Brennmaterial gefüllt. Dächer aus Ziegel oder Stein hatten solche Öfen nicht; vielmehr konnte ein Holzdach darüber errichtet sein oder man man stapelte Lehmziegel auf dem „Himmel“, die zugleich isolierten und durch die Abwärme gebrannt wurden20. Aus den bekannten und ermittelbaren Maßen kann ein Kammervolumen von mindestens 25 bis 30 m³ errechnet werden. In diesem Raum konnten pro Vorgang ungefähr 12 m³ Kalkstein zu Branntkalk umgesetzt werden, der Abb. 10. Maßstabsgetreue Ansicht eines Längsschnitts durch den Brunnenschacht. Die oberen 5 m sind ausgemauert und mit einem Bogenfundament abgeschlossen (vgl. Abb. 9), darunter folgt bis zur 21 m tief liegenden Sohle der blanke Fels (erstellt aus einem per Structure from Motion errechneten 3DModell, Hauke Evert Harms, HTW Berlin; LfA Sachsen, 2015) sich mit Zuschlägen und Wasser z. B. zu jeweils 24 bis 36 m³ Mörtel weiterverarbeiten ließ21. Der Kalkofen stammt ebenfalls aus dem zeitlichen Umfeld des Hussitensturms; er könnte unter anderem zur Errichtung des Roten Turms hergestellt worden sein. Für die nötige Mörtelmenge allein des Turms hätte der Kalkbrennofen fünfbis elfmal angefahren werden müssen. Um Plauen herum kommt Kalkstein in kleinen, aber dicht gestreuten Taschen vor. Am ehesten wirkt der devonische Knotenkalkstein abbauwürdig, der z. B. 1 km südlich des Schlossberges ansteht. Selten fand er auch als Baumaterial Verwendung. Unter den etwa 420 Baubefunden der Ausgrabung kommt z. B. nur ein Fundament vor, das zu 100 % aus Knotenkalk errichtet wurde, in 20 weiteren Befunden wurde das Gestein im Mischmauerwerk verbaut. Dass Kalk im Vergleich zu anderen, häuigeren Gesteinsarten als Mauerstein eine untergeordnete Rolle spielte und eher für die Branntkalkherstellung verwendet wurde, zeigt z. B. auch der Eintrag über das „Recycling“ zweier Gebäude in der Plauener Brückenvorstadt um 1500: [...] der Bawefellig[en] zweier/fron güt[e]r In der mortgass vor/Brügk[e]r thor Burgen und Schlösser 4/2016 Burg und Schloss der Vögte zu Plauen geleg[e]n, so zw/m[eines] g[nädigen] h[errn] bawe zu kalch v[er]branth [...]22. Holz, der zweite notwendige Rohstoff, lag in mehreren Wäldern um die Stadt ebenfalls vor. Aus archäologischem Kontext sind noch drei weitere mittelalterliche Kalköfen aus Plauen bekannt23. Zusammen mit der im 19. Jahrhundert vorbildlich begonnenen Publikation und Auswertung archivalischer Quellen zur Geschichte von Stadt und Burg Plauen, die nun im Rahmen des laufenden Projekts durch Ivonne Burghardt M.A. (Dresden) ihre Fortsetzung indet24, ergibt sich ein Bild zur Entwicklung der städtischen Bautätigkeit, das sich in seiner Detailgenauigkeit mit dem Forschungsstand zu Prag oder Nürnberg vergleichen lässt. Die drei Kalkbrennöfen lagen in der Alt- und Neustadt, jeweils unweit der Johanniskirche. Wie der Ofen auf dem Schloss der Vögte waren sie nur kurzzeitig in Nutzung. Alle Anlagen können als baustellenbezogene Produktionseinrichtungen betrachtet werden. Aus den Schriftquellen erschließt sich, dass für das Schloss um 1500 kein eigener Kalk hergestellt, sondern u. a. vom Kloster bezogen wurde25. Eine Generation später, 1535/36, werden erstmals ein Kalkbrennofen außerhalb der Stadtmauern und ein Stadtbaumeister erwähnt, der auch Branntkalk verkaufte26. Mit der Zentralisierung von Stadtplanung und Materialherstellung sowie -lagerung war ein wesentlicher Schritt in der städtebaulichen Entwicklung vollzogen, der die „Versteinerung“ bürgerlicher Häuser förderte. Zwar spielte das Schloss dabei eine Außenseiter-, bestenfalls eine Vorreiterrolle, doch ging die Entwicklung auch an diesem Objekt nicht ganz spurlos vorüber, wie die Umstellung von eigener, baustellenbezogener Branntkalkproduktion auf Lieferantenwirtschaft zeigt. Abb. 11. Im Keller unter dem Querhaus (16./17. Jahrhundert) wurde um 1802 eine Lichtnische bis zur Kellersohle erweitert und auf dieser Ebene ein Stollen durch den Fels bis zum fünf Meter entfernten Brunnen getrieben (LfA Sachsen, Januar 2015). Abb. 12. Kalkbrennofen, 15. Jahrhundert. Mauerumrisse des Ofens sind auf Höhe des oberen Planums nachgezogen. In zerstörten Bereichen geben die Striche einen Rekonstruktionsvorschlag wieder. Die übrigen Mauerzüge gehören zum Querhaus aus dem 16./17. Jahrhundert (vgl. Abb. 9) (Orthofoto aus einem Structurefrom-Motion-Modell von C. Schubert, LfA Sachsen, 2014/2015). Burgen und Schlösser 4/2016 211 Jörg Wicke Abb. 13. Maßstabsgetreue Ansicht des Roten Turms. Blick von Nordwest, entlang der aus dem Bild entfernten Außenmauer. Alle sichtbaren Öffnungen sind sekundär eingebracht oder überformt. Bei dem verglasten Bogenfenster (1) handelt es sich um eine umgebaute ehemalige Verbindung zum Wehrgang auf der Mauer, der wahrscheinlich um den Turm herumgeführt wurde. Die zugesetzte Türöffnung mit Granitrahmen (2) links unterhalb davon könnte den ehemaligen Turmzugang, neun Meter über Grund, markieren. Die übrigen Öffnungen (3-8) entstanden nachträglich bei späteren Um- und Anbauten (Orthofoto aus einem Structure-from-Motion-Modell von Christof Schubert, LfA Sachsen, 2014). Das Schloss im 15. und 16. Jahrhundert Die Verdichtung der Schriftquellen dank der überlieferten Amtsbücher ab dem 15. Jahrhundert versetzt uns in die Lage, die zeitgenössische Sichtweise mit der archäologischen Überlieferung abgleichen zu können. Die Quellen nennen: grose kemnoth, Fürstenstube, Hofstube, Frauenstube, Kinderstube, kleine Stube, padstoben (Badestube), di kirchen (samt eigenem Kaplan), büchs haus, brawhaws, Backhaus, Kornhaus (Umbau), Küche, Pferdeställe, Schafhaus und ein Hühnerhaus, Rohrwasser und den Fischkasten. Daneben drei Türme: Roter Turm, Weißer Turm und Turm des Amtsschreibers sowie zwei Tore, jeweils mit Brücken. Außerdem ist hin und wieder von einem schroth die 212 Rede, mit dem wahrscheinlich der Wehrgang auf der Außenmauer gemeint war27. Bei vielen Erwähnungen bleibt ungewiss, ob es sich jeweils um ein eigenständiges Gebäude, einen Gebäudeteil oder nur einen Raum handelt. Die Identiizierung der Objekte mit archäologischen Befunden gelingt teilweise. Das Kornhaus an der südöstlichen Außenmauer z. B. muss kurz vor Einsetzen der Amtsbücher errichtet, dann aber um 1500 – wie Schrift- und archäologische Quellen übereinstimmend belegen – so wesentlich erweitert worden sein, dass ein mit 40 m Länge und mindestens drei Stockwerken Höhe durchaus repräsentatives Gebäude entstand. Den zweiten archäologisch nachweisbaren Schwerpunkt bildete der Westlügel, der beim Wiederaufbau nach dem Hussitensturm 1430 zwischen den Festen Häusern 1 und 2 – unter Einbeziehung beider Gebäude – im Nordwesten des Schlosses erbaut wurde. Er brachte es ebenfalls auf repräsentative Ausmaße von 10 m Breite und mindestens 42 m Länge. Auf einer Darstellung von Wilhelm Dilich, zwischen 1626 und 1629 entstanden, trägt die stadtseitige Fassade des Westlügels unterschiedlich hohe Zwerchgiebel, die die Bedeutung des Baues unterstreichen. Die in den Quellen genannten „Stuben“ und die große Kemenate kann man hier vermuten. Auch die erwähnte kirchen, die Burgkapelle, wird sich in oder am Westlügel befunden haben. Bei einer der zahlreichen Umbaumaßnahmen gelangten Steinfragmente von der igürlichen Kapellenausstattung in ein Fundament, darunter Füße eines (Jesus)Kindes, eine Hand mit Schreibgriffel oder Szepter und Faltenwürfe mit Resten von Blattvergoldung, alles in sehr qualitätvoller Ausführung. Außer Resten der Rohrwasserleitung fehlen archäologische Nachweise der erwähnten Wirtschaftsbauten. Zum Teil werden sie in Kornhaus und Westlügel integriert gewesen sein, etwa die Pferdeställe, teils werden ihre lachen Gründungen dem Baudrang der nachfolgenden Generationen zum Opfer gefallen sein. An der nördlichen Außenmauer ließen sich im Baubefund ebenfalls geringe Reste eines möglichen Randhauses nachweisen. Auch hier kann man Wirtschaftsgebäude vermuten. Im Jahre 1548 brannte das nunmehr zum Renaissanceschloss gewandelte Ensemble ab und trat erst 120 Jahre später wieder in den Quellen in Erscheinung. Das Schloss ab dem 16. Jahrhundert Der große Brand von 1548 ist zwar chronikalisch belegt; auch die lange Brache bis weit in das 17. Jahrhundert hinein scheint plausibel anhand der spätestens 1629 entstandenen Abbildung von Dilich, die nahezu alle sichtbaren Schlossgebäude ohne Dach zeigt. Jedoch griffen die in den 1670er-Jahren unternommenen Aufräumarbeiten so tief in den Untergrund ein, dass von diesem Ereignis in der Sedimentstratigraie keine direkten Spuren überliefert wurden. Lediglich z. T. sehr fundreiche Zwingerverfüllungen mit Keramik des 16. Jahrhunderts bezeugen den wörtlich zu nehmenden Kehraus nach der Katastrophe. Im Jahre 1675 wurde das Querhaus eingeweiht, das die Anlage in einen nordwestlichen Oberen und südöstlichen Unteren Schlosshof teilte. Dabei wurde nur an den beiden GiebelseiBurgen und Schlösser 4/2016 Burg und Schloss der Vögte zu Plauen ten ältere Bausubstanz aus der Zeit vor dem Brand weiterbenutzt. Anhand von Bauphasengliederung und Formensprache kann ein Baubeginn bereits im 16. Jahrhundert vermutet werden. Nach einer Pause unbekannter Länge erfolgte die Vollendung des ursprünglich als Renaissancebau konzipierten Gebäudes als frühbarockes Bauwerk. Bemerkenswert ist die Einbindung des mittelalterlichen Brunnens in den Hausgrundriss. Zwei Mauern wurden randlich über den Brunnenring hinweggeführt und zwischen ihnen wurde einen Treppe gespannt. Der damalige Baumeister, eventuell Johann Moritz Richter d. J. (* 1647, † 1705), erfreute sich wahrscheinlich größeren Selbstvertrauens als heutige Statiker, denn die westliche der beiden Mauern steht mit halber Stärke auf dem Brunnenring und trug bis 1945 noch die Wände der zwei Obergeschosse. Die östliche Mauer wurde sogar über den lichten Schacht geführt. In beiden Mauern wurden die Lasten über Bögen auf den Brunnenring oder Bereiche neben dem Brunnen abgeleitet. Der Brunnenschacht konnte über Fenster in den beiden Wänden benutzt werden. Kurz nach 1802 verschloss man den Brunnen mit einer in den Schacht gespannten Ziegeltonne. Die dendrochronologische Datierung gelang mittels Resten des Lehrgerüstes unter der Tonne, die herabgestürzt und im Wasser liegend erhalten geblieben waren. Die über den Schacht hinwegführende Treppe wurde gleichzeitig entfernt, der Brunnenring gestutzt und eine kaum 2 m breite Kammer mit angeglichenem Fußbodenniveau geschaffen. Wohlgemerkt, man verfüllte den Brunnen nicht, sondern hielt ihn bewusst offen. Im einzigen Keller des Querhauses durchbrach man die Wand hinter einer Lichtnische und fuhr bergmännisch einen Stollen vom Keller durch den gewachsenen Fels zu dem 5 m entfernt liegenden Brunnenschacht auf. Die Stollensohle wurde leicht abschüssig gegen den Brunnen gestaltet und mit zugerichteten Schieferplatten abgedeckt. Bis auf einen etwa 0,2 m hohen Durchlass am Mauerfuß verschloss man den Wanddurchbruch wieder. Durch den Stollen konnte nicht nur im Keller austretende Feuchtigkeit abgeleitet werden, sondern auch Oberlächenwasser vom Unteren Schlosshof. Burgen und Schlösser 4/2016 Abb. 14. Ruine des Querhauses von Norden gesehen. Errichtet im 16./17. Jahrhundert, zerstört im April 1945 und seitdem aufgelassen. Während die Südfassade fast bis zur Traufkante erhalten ist, steht von der Nordfassade nur noch ein Teil des Arkadengangs. Im Vordergrund die teilverfüllten archäologischen Sondagen im Westlügel. Im Hintergrund die Haube des Roten Turms (LfA Sachsen, 2014). Nach dem Wiederaufbau in den 1670er-Jahren waren auch Westlügel, Kornhaus und andere Schlossgebäude wieder benutzbar geworden. In der Folgezeit erfuhren sie vielfältige Umgestaltungen, die sie der Umwidmung vom fürstlichen Quartier zu Amts-, Archiv- und Wohngebäuden anpassten. Massiv wurde in die Substanz des Westlügels eingegriffen, der in Teilen zwischenzeitlich niedergelegt wurde, um im 19. Jahrhundert neu errichtet zu werden. Die Treppen wurden nach außen verlegt, in Halbtürme, deren polygonaler Grundriss offensichtlich vom Roten Turm inspiriert war. Schwerste Schäden erlitt das Schloss im April 1945, als es zusammen mit weiten Teilen der Stadt bei mehreren Luftangriffen großlächig zerstört wurde. Lediglich der Rote Turm, der Nordturm, Teile der Außenmauer und die Fassadenseiten des Querhauses widerstanden den Bomben. Außer neuen Dächern für die Türme und den allernötigsten Bausicherungen an der Querhausruine wurden seit 1945 keine wesentlichen Substanz erhaltenden Maßnahmen unternommen. Seit 2014 wird das gesamte Gelände saniert, für das Querhaus existieren bereits erste Konzepte eines Wiederaufbaues. Ausblick Durch die Grabungen von 2014 konnte eine wesentliche Lücke in der Geschichte des Vogtländischen Bur- genbaues geschlossen werden. Die Rekonstruktion von vollständigen Gebäudegrundrissen aus der Gründungsphase der Burg kann überregional als einmalig gelten. Dementsprechend wird der Schwerpunkt der noch laufenden Auswertungen auch auf der Frühphase bis zum Brand 1548 liegen. Als Forschungsdesiderat gilt die typochronologische Gliederung der sogenannten Vogtländischen Glimmerware, die auf dem Schloss reichlich vertreten ist. Weil aus der genaueren zeitlichen Fundansprache ebenfalls eine genauere Gliederung der Baugeschichte erwartet werden darf, soll sich die Fundauswertung auch auf diesen Bereich der Keramik konzentrieren. Die Archäologie kann bei der vorhandenen Befundlage einen zentralen Beitrag zur Rekonstruktion der Schlossgeschichte liefern; ein zeitgemäßes Gesamtbild wird jedoch nur durch die Zusammenarbeit mit Spezialisten verschiedener Disziplinen gelingen. Die Arbeiten zu den Geschichtsquellen durch Ivonne Burghardt M.A. sind bereits abgeschlossen. Ein Bauphasenplan des Querhauses wird unter Führung des zuständigen Referenten Dipl.-Ing. Thomas Noky vom Landesamt für Denkmalplege Sachsen demnächst beendet. Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung entstanden und entstehen außerdem mehrere akademische Beleg- und Abschlussarbeiten28. 213 Jörg Wicke Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 Gebietsreferent Dr. Stefan Krabath, unter örtlicher Leitung des Autors. Als Grundstückseigentümer und Bauherr der archäologischen Grabungen trat der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilienund Baumanagement, Niederlassung Zwickau, auf, vertreten durch Michael Haas, Diana Weber, Sindy Männel, Rainer Haderthauer, denen für Kooperationsbereitschaft und Unterstützung Dank gebührt. Ebenso gilt den 20 Grabungshelfern und Ihren Vermittlern vom Sozialen Arbeitsförderwerk e.V. bzw. dem Jobcenter Plauen Dank. Ferner ist den fünf Grabungsmitarbeitern und den drei als Schnittleiter beteiligten Archäologen Alexander Heckendorff (Halle), Thies Evers (Hamburg) und Marcel Dallinger (Dresden) zu danken. Die Grabungsergebnisse werden im Rahmen eines Promotionsvorhabens an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel aufgearbeitet. Die Finanzierung trägt das Land Sachsen, dafür ist Staatsminister Prof. Dr. Georg Unland zu danken. Dr. Stefan Krabath (Landesamt für Archäologie Sachsen) und Prof. Dr. Ulrich Müller (Uni Kiel) gebührt Dank für die Betreuung der Arbeit. Der hier vorgestellte Stand der Arbeit konnte im März 2016 beim „Jungen Forum Burgenforschung“ in Braubach präsentiert werden. Für diese Möglichkeit, die Vermittlung und herzliche Betreuung sei der Deutschen Burgenvereinigung und dem Europäischen Burgeninstitut gedankt. Ein erster Vorbericht zur Kampagne 2014 ist bereits erschienen: Jörg Wicke/Alexander Heckendorff/Thies Evers/Marcel Dallinger/Stefan Krabath, Das Schloss der Vögte in Plauen. In: Archaeo 11, S. 4–15. Ernst Eichler/Volkmar Hellfritzsch/ Johannes Richter, Die Ortsnamen des sächsischen Vogtlandes (Schriftenreihe des Vogtlandmuseums Plauen, 50 u. 53), Plauen 1983 u. 1985. Gerhard Billig/Heinz Müller, Burgen. Zeugen sächsischer Geschichte, Neustadt 1998, S. 30. Gute zusammenfassende Darstellung durch Gabriele Buchner/Frank Weiß/ Sigrid Unger, 800 Jahre Land der Vögte (1209-2009), Plauen 2009. Den Autoren sowie zahlreichen Interessierten vor Ort, insbesondere Gert Müller, Roland Best und Günther Hager muss für ihre unermüdliche und allseitige Unterstützung der Grabungs- und Forschungsarbeiten sehr herzlich gedankt werden. Matthias Werner, Die Anfänge der Vögte von Weida. In: Sybille Putzke/Claudia Wohlfeld-Eckardt/Tina Fehlhaber (Hrsg.), Das Obere Schloss in Greiz. Ein romanischer Backsteinbau in Ostthüringen und sein historisches Umfeld (Arbeitshefte des Thüringischen Landesamtes für Denkmalplege und Archäologie, N.F. 30), Erfurt 2008, S. 14. Matthias Werner, Zur Stadtentstehung im östlichen Thüringen und im Vogtland. 214 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 In: Yves Hoffmann/Uwe Richter (Hrsg.), Die Frühgeschichte Freibergs im überregionalen Vergleich. Städtische Frühgeschichte, Bergbau, früher Hausbau, Halle 2013, S. 181 f. Walther Ludwig, Ein Gang durch AltPlauen, Plauen 1993². Detaillierte, allerdings in Teilen widerlegte Übersicht über die Entwicklung Plauens durch Walther Bachmann, Das alte Plauen, Plauen 1954. Zur geschichtlichen Frühzeit des Vogtlandes Werner, Anfänge (wie Anm. 6), S. 11–55. Gerhard Billig, Pleißenland – Vogtland, Plauen 2002; Ders., Vögtische Herrschaftspraxis zwischen dem Eintritt Heinrichs IV. von Weida in den Deutschen Orden 1238 und dem Bobenneukirchner Vertrag 1296. In: Kulturverein Weida e. V. (Hrsg.), Euregio Egrensis. Weidaer Kolloquium – Heinrich IV, Vogt von Weida, und seine Zeit, Weisbach 1997, S. 8–18; Karlheinz Blaschke, Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990. Von den ungefähr 200 bekannten befestigten Anlagen wurden bisher 105 aufgenommen und kartiert. Davon liegen 73 (ca. 70 %) einzeln in einer Gemarkung, in zehn Fällen liegen zwei Burgen und in vier Fällen drei Burgen innerhalb einer Gemarkung. Angaben aus Gerhard Billig/Gabriele Buchner, Verzeichnis der mittelalterlichen Wehranlagen des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, 1979 [unpubl. Masch.ms., Landesamt für Archäologie Sachsen], z. T. publiziert in Billig/Müller, Burgen (wie Anm. 4), S. 121–140. Billig, Herrschaftspraxis (wie Anm. 9), S. 12. Zum Klientel der Vögte z. B. ebd., S. 9. Billig/Müller, Burgen (wie Anm. 4), S. 122. Dank an Dieter Barz (Alzey) für die Befunddiskussion beim Jungen Forum Burgenforschung, März 2016. Dunkelgraue Oberläche; die grobe mineralische Magerung enthält einen deutlichen Anteil Glimmer. Die Vorkommen dieser Warenart streuen bis Zwickau, vereinzelt bis Leipzig, mit deutlichem Schwerpunkt im Vogtland. Z. B. Sebastian Münster, Cosmographey, Basel 1598 [1544], S. 510. Insgesamt wurden drei Hölzer beprobt, alle mit Waldkante. Dank für die Bearbeitung dendrochronologischer Proben an Dr. Karl-Uwe Heußner (Deutsches Archäologisches Institut Berlin) und Dipl.-Ing.Thomas Noky (Landesamt für Denkmalplege Sachsen) sowie für die Zusammenarbeit und Genehmigung der Probenentnahme. Berthold Schmidt, Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen. Sowie ihrer Hausklöster Mildenfurth Cronschwitz Weida und z.h. Kreuz bei Saalburg, Zweiter Band 1357-1427 (Thüringische Geschichtsquellen, 5), Jena 1892, S. 613 (Nr. 732). Vorbericht: Jörg Wicke/Stefan Krabath, Spätmittalterliche Kalkproduktion in der Burg der Vögte zu Plauen/Vogtland (Mit- 20 21 22 23 24 25 26 27 28 teilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, 29), Kiel 2016, S. 215–224. Ludwig Friedrich Wolfram, Vollständiges Lehrbuch der gesammten Baukunst: Bd. 1, Stuttgart 1883, S. 57 ff.; eine anschauliche Zusammenfassung rezenter Kalköfen: Hauke Kenzler, Archäologische Untersuchungen zum Kornmarkt in Zwickau, Dresden 2001, S. 37 f. Zu Mischverhältnissen von Mörtel: Adalbert Schwippel, Georg Frey oder Beispiel wie viel Gutes ein verständiger Mann in einer Gemeinde zu stiften vermag [...], Prag 1835, S. 315. Zu Materialvolumenberechnungen stehender Bauwerke: Richard Fill, Kostenberechnung im Tiefbau, Wien 1965, S. 222, Tab. 5 . Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv (THStW EGA) Reg. Bb. 1884, fol. 66v. Dank für Recherche und Transkription gebührt Ivonne Burghardt (Landesamt für Archäologie Sachsen). Bisher nur in Vorberichten publiziert: Uta Böddiker/Martina Bundszus/Ralph Hempelmann/ Friederike Koch/Markus Reichel, Bürger, Burg und Brakteaten. Die Stadtkerngrabungen in Plauen. In: archäologie aktuell im Freistaat Sachsen 4, 1996, S. 113–130. Martin Kroker, Stadtbefestigung, Ordensburg und Siedlungsbeginn. Ausgrabungen auf dem Gelände der ehemaligen Textilfabrik Vowetex in Plauen. In: archäologie aktuell im Freistaat Sachsen 6, 2000, S. 96–101. Zu den wichtigsten Quelleneditionen zählen Schmidt, Urkundenbuch (wie Anm. 19) sowie die Publikationen von Johannes Müller und Curt von Raab in den Mitteilungen des Vogtländischen Altertumsvereins ca. 1880 bis nach 1900. Frau Burghardt hat die insgesamt 82 erhaltenen Rechnungsbücher des Amtes Plauen zum Baugeschehen auf dem Schloss der Vögte exzerpiert. Die Bücher umspannen, mit Lücken, den Zeitraum von 1438 bis 1546 und liegen im THStW EGA, Reg. Bb. 1875-1958 (vgl. Anm. 22). THStW EGA, Reg. Bb. 1880, fol. 58r (vgl. Anm. 22). THStW EGA Reg. Bb. 1931-1932, fol. 78r und 79v und Reg. Bb. 1933 (vgl. Anm. 22). Zusammenfassung aus den unter Anm. 24 genannten Quellen. Archäologische Kartierung mittels geograischem Informationssystem durch Christian Platz, Laserscan des Querhauses durch Bettina Seifert (beide an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, Fakultät Geoinformation), die fotorealistische 3D-Modellierung des Brunnenschachtes mittels Structure from Motion durch Hauke Evert Harms (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, FB 5, Grabungstechnik), die Auswertung von Baugerüstspuren durch Christian Mai (TU Dresden) und die zusammenfassende Betrachtung historischer und archäologischer Ergebnisse durch den Verfasser. Burgen und Schlösser 4/2016